Wer treibt die Wasserstoffwirtschaft im Norden an? Wie entstehen aus Ideen und Visionen handfeste Projekte, den Norden zu einem Hotspot in der Wasserstoff-Industrie machen? In unserer Reihe „Wasserstoff. Norddeutsch. Persönlich.“ stehen die Persönlichkeiten hinter der Wasserstoff-Wende Rede und Antwort.
Seit fast fünf Jahren leitet Dr. Ralf Tschullik das 2019 gegründete IWEN Institut in Rostock, das sich auf Dienstleistungen im Bereich der Erneuerbaren Energien konzentriert. Der Fokus des Ingenieurs liegt dabei auf der Unterstützung der Region Mecklenburg-Vorpommern.
In seiner aktuellen Rolle arbeitet Tschullik sowohl an dezentralen Energiesystemen als auch an der Entwicklung von Wasserstoff-Hubs. Zu seinen Hauptaufgaben gehört die Beratung und technische Unterstützung von Kommunen und kommunalen Energieversorgern, um lokale Energiewendeprojekte zu fördern und regionale Akteure zu stärken. Im Bereich Wasserstoff ist er auch als Berater für große Industrieprojekte aktiv und engagiert sich für die Schaffung koordinierter Wasserstoff-Hubs in Rostock und Vorpommern.
Herr Dr. Tschullik: Wie sind Sie dazu gekommen, im Bereich Wasserstoff zu arbeiten?
Ich bin eher zufällig in das Thema Wasserstoff hineingerutscht. Im Jahr 2020 habe ich begonnen, ein Institut aufzubauen, zunächst als Einzelkämpfer und Start-up. Parallel kam die nationale Wasserstoffstrategie mit einem erheblichen Budget. Diese Maßnahmen und das Budget führten dazu, dass Deutschlands große Energieversorger und Industrieplayer auf die Region Rostock aufmerksam wurden. Es wurde ein Industriearbeitskreis gegründet, den ich als kleines Start-up moderieren durfte. Gemeinsam mit großen Partnern wie Rostock Port trieben wir Interessenbekundungen voran und so begann meine Reise im Bereich Wasserstoff.
Auf welchen persönlichen Erfolg im Bereich Wasserstoff sind Sie besonders stolz in den letzten Jahren?
Ich bin besonders stolz darauf, dass wir es geschafft haben, unsere Region Rostock auf der europäischen Landkarte zu etablieren. Es ist uns gelungen, uns als First Mover zu positionieren. Ein besonderes Projekt, ist dabei der "HyTechHafen Rostock". Ich bin nicht nur Leiter eines kleinen Instituts für Erneuerbare Energien, sondern auch Geschäftsführer der koordinierenden Projektgesellschaft rostock EnergyPort cooperation. Diese Gesellschaft wurde gegründet, um das Projekt „HyTechHafen Rostock“ voranzutreiben. Gemeinsam mit einem Kollegen von der EnBW führe ich es als Geschäftsführer. Es macht mich stolz, von Anfang an dabei zu sein und meinen Beitrag zu leisten.
Was hat Sie im Bereich Wasserstoff zuletzt überrascht?
Was mich zuletzt im Bereich Wasserstoff überrascht hat, ist, dass wir es aktuell nicht schaffen, den anfänglichen Drive aufrechtzuerhalten. Es scheint, als befänden wir uns in einem sogenannten „Valley of Death“ – viele Projekte, die voller Enthusiasmus gestartet sind, kommen nun ins Stocken. Mein Wunsch wäre daher, dass die Politik endlich auf allen Ebenen – EU, Bund und Länder – klare und langfristige Rahmenbedingungen schafft, um die Industrie in diesem Transformationsprozess zu unterstützen und den Weg für eine erfolgreiche Energiewende zu ebnen.
Welches Wasserstoff-Projekt oder welchen innovativen Ort – egal wo auf der Welt – würden Sie gern einmal näher kennenlernen?
Ich selbst bin seit 2020 eng in die großen Wasserstoffprojekte eingebunden und war intensiv im europaweiten „Matchmaking“ aktiv. Über die letzten Jahre konnte ich viele Projekte aus ganz Europa kennenlernen und habe ein gutes Gesamtbild über die Entwicklung. Ein spezielles Projekt würde ich daher nicht hervorheben, aber mir ist klar, dass Norddeutschland eine zentrale Rolle im deutschen Wasserstoffsektor spielen wird. Die Region Wilhelmshaven wird sich für die Nordsee als wichtiger Hub etablieren, während Rostock für die Ostsee als Knotenpunkt immer bedeutender wird. Beide Standorte bieten ideale Voraussetzungen für die Produktion und den Import grüner Energie, was eine strategische Zusammenarbeit beider Regionen besonders wertvoll macht.
Inspirierend finde ich auch den Blick ins Silicon Valley. Die USA, speziell Unternehmen wie Tesla, haben ihre Projekte oft mit einer beeindruckenden Agilität und Risikobereitschaft entwickelt. Trotz anfänglicher Rückschläge und enormer Investitionen haben sie den Markt revolutioniert und wurden schließlich führend. Ich würde mir wünschen, dass wir in Europa ähnlichen Mut zeigen, um innovative Projekte auch dann voranzutreiben, wenn der Weg steinig ist. Das langfristige Ziel, wirtschaftlich und erfolgreich zu sein, sollte die Begeisterung für Wandel und Innovation hochhalten.
Stellen Sie sich einmal vor, wir sind im Jahr 2035 – wo merkt man im Alltag, das Wasserstoff angekommen ist?
Ich denke, bis 2035 wird Wasserstoff in unserem Alltag fest verankert sein – und das spüren wir überall, wo es um Energie und Mobilität geht. Unser Ziel ist es, dass der Ausbau von Wasserstoffkapazitäten nicht endet, sondern immer weiter skaliert wird. Wenn wir 2035 auf eine florierende Infrastruktur blicken können, in der die Nachfrage nach Wasserstoff groß bleibt und der Drang zum Ausbau weiterhin vorhanden ist, dann haben wir viel erreicht.
Bereits heute spüren wir das internationale Interesse an Deutschland als Wasserstoff-Standort. Anfragen aus Ländern wie Kanada und Chile zeigen, dass wir auf der globalen Landkarte als bedeutende Wasserstoffregion wahrgenommen werden. Dieses Momentum weiterzutragen und die Nachfrage zu bedienen, ist das langfristige Ziel – und das könnte eine große Chance für die Zukunft sein.