Wasserstoff. Norddeutsch. Persönlich. – Teil 6: Dr. Torben Stührmann
Wer treibt die Wasserstoffwirtschaft im Nordwesten an? Wie entstehen aus Ideen und Visionen handfeste Projekte, die Bremen und den Nordwesten zu einem Hotspot in der Wasserstoff-Industrie machen? In unserer Reihe „Wasserstoff. Norddeutsch. Persönlich.“ stehen die Persönlichkeiten hinter der Wasserstoff-Wende Rede und Antwort.
Dr. Torben Stührmann leitet die AG Resiliente Energiesysteme an der Universität Bremen und das Projekt „hyBit - Hydrogen for Bremen’s industrial Transformation“. Es untersucht technische, wirtschaftliche, ökologische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte im Hinblick auf die Umstellung von Industrieprozessen auf Wasserstoff. Ganz konkret lässt sich diese Transformation auf Wasserstoff beim ArcelorMittal Stahlwerk Bremen im gleichnamigen Schwester-Projekt „HyBit“ beobachten, bei dem ein 10-Megawatt-Elektrolyseur Mitte 2024 in Betrieb gehen soll.
Herr Dr. Stührmann, was motiviert Sie, im Bereich Wasserstoff zu arbeiten?
Dr. Stührmann: Interessanterweise war ich vor sieben Jahren, als wir uns das erste Mal mit Wasserstoff befassten, noch gar nicht so überzeugt von den sinnvollen Einsatzmöglichkeiten. Als wir uns dann aber näher mit der Materie befasst haben, hat sich das schnell geändert. Das Stahlwerk in Bremen produziert die Hälfte der CO2-Emissionen der Stadt Bremen, von daher motiviert es mich sehr, dass wir in den beiden Projekten hyBit/HyBit daran arbeiten, diese zu reduzieren. Wenn wir das Stahlwerk transformieren wollen, müssen wir das mit Wasserstoff machen, das ist die aktuell beste Option. Deshalb bin ich froh, dass ich in diesem Projekt mitwirken darf.
Auf welchen persönlichen Erfolg sind Sie besonders stolz?
Dr. Stührmann: Große Infrastrukturprojekte – und da zähle ich hyBit/HyBit dazu – brauchen lange, bevor es losgeht. Es waren viele Gespräche nötig, auf verschiedenen politischen Ebenen, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. Das Spannende an unserem Forschungsprojekt ist ja gerade, dass wir sowohl auf wissenschaftlicher Ebene wie auch direkt in der Anwendung arbeiten. In dieses Vorhaben einen Dreh reinzukriegen, alle Stakeholder ins Boot geholt zu haben und jetzt auf dem Weg in die Umsetzung zu sein, das macht mich schon stolz.
Was hat Sie zuletzt im Bereich Wasserstoff überrascht?
Dr. Stührmann: Zur Einordnung: Der Clean Hydrogen Monitor 2023 zeigt, dass derzeit 228 Megawatt Elektrolysekapazität in Europa installiert sind, es gab einen jährlichen Zuwachs von 25 Prozent seit 2017. Das ist gut, aber leider auch viel zu wenig, wenn wir uns die die europäischen Ausbauziele von bis zu 40 Gigawatt bis 2030 anschauen. Es ist wichtig, dass wir Projekte und Themen jetzt mutig voranbringen und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. „Buten un Binnen Wagen un Winnen“ ist eine Losung, die auch für den Wasserstoffbereich gilt. Ich bin glücklich, dass wir in Bremen dort die ersten Schritte gehen und die erste industrielle Elektrolyse-Anlage derzeit auf den Weg bringen. Die Stadt Bremen, ArcelorMittal und swb gehen einen mutigen und herausfordernden Weg.
Welche Person würden Sie gerne auf einer Messe und Konferenz zum Thema Wasserstoff treffen?
Dr. Stührmann: Es gibt nicht die eine Person – für die Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft müssen viele Akteure mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen Hand in Hand arbeiten. Ich möchte mit dem Netzwerk der norddeutschen Wasserstoffakteure und -akteurinnen gemeinsam die Transformation voranbringen und so Vertrauen und Sicherheit für diesen notwendigen Wandel schaffen.
Ich habe vor einigen Wochen ein Kamingespräch durchgeführt, wo genau dies das Thema war. Die Wasserstoff-Transformation ist wahnsinnig komplex, technisch, geopolitisch, regulatorisch aber auch gesellschaftlich. Hier müssen wir alle an einem Strang ziehen.
Welches Wasserstoff-Projekt oder welchen innovativen Ort – egal wo auf der Welt – würden Sie gern einmal näher kennenlernen?
Dr. Stührmann: In Australien sitzt die Firma Hysata, die einen neuen Ansatz zur Elektrolyse entwickelt hat, die Kapillar-Elektrolyse. Zwar gab es ähnliche Ansätze schon früher, aber das Unternehmen könnte jetzt damit einen Game-Changer erreicht haben. Laut ihren Studien sind sie in der Lage, Wasserstoff zu Preisen von 1,50 Dollar zu produzieren, was ein Durchbruch wäre, wenn sich der Ansatz skalieren lässt. Als Wissenschaftler sind solche Durchbrüche natürlich immer besonders spannend! Vielleicht kann man die Firma mal nach Bremen einladen – vielleicht auch für Ansiedlungsgespräche, der Bedarf in Europa ist schließlich riesig!
Wir befinden uns im Jahr 2035, in einem Satz: Woran merkt man im Alltag die Bedeutung von Wasserstoff?
Dr. Stührmann: Wir werden gar nicht so viel davon im Alltag sehen, sondern eher im Bereich der Industrie und industriellen Prozesse. Wasserstoff ist ein extrem kleines Molekül, verändert aber extrem viele große Prozessketten, wenn wir auf grünen Wasserstoff umsteigen. Und das in vielen Industrien. Da werden viele neue Arbeitsplätze entstehen, Industriezweige werden sich verändern.
Viele Fragen müssen wir aber bis dahin klären: Was ist es uns wert, bestimmte Industrien, bestimmte Infrastrukturen in Europa zu haben? Das sind nicht nur technische Fragestellungen, sondern gesellschaftliche, die wir unter uns aushandeln müssen. Bis 2035 müssen wir darauf Antworten haben.
Bild: SWHT/Rathke